Wichtige Entscheidungen im Anleiherecht im Überblick

 

 

 

BondGuide, Special Anleihen 2017 S. 10ff.
von Dr. Matthias Gündel und Christina Gündel

Keine „Flucht“ des Anlegers durch Kündigung

Im Dezember 2015 hat der Bundesgerichthof (BGH) in einer vielbeachteten Entscheidung zur Reichweite der Bindungswirkungen von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) Stellung genommen.

Der Sachverhalt:

Die Klägerin hatte eine Anleihe einer in der Krise befindlichen Emittentin zu einem deutlich unter dem Nennwert
liegenden Preis erworben. Kurze Zeit nach Erwerb kündigte die Anlegerin u.a. wegen der wesentlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Emittentin und begehrte Rückzahlung zum vollen Nennbetrag. In der Gläubigerversammlung nach dem SchVG wurde mehrheitlich wie folgt beschlossen: Der
Umtausch der auf den Inhaber lautenden Schuldverschreibungen in Erwerbsrechte auf eine neue besicherte Anleihe mit reduziertem Nennwert und neue Aktien am Emittenten und – zeitlich befristet, jedoch nur für die Zukunft – der Verzicht auf die Kündigung.

Instanzenzug:

Die Vorinstanzen gaben zunächst der Anlegerin weitgehend Recht. Dann hatte die Revision der Beklagten Erfolg.
Urteilsgründe: Die kollektive Bindung von Mehrheitsbeschlüssen der Anleihegläubiger erfasst auch bereits gekündigte Schuldverschreibungen. Das bedeutet, diese unterfi elen dem beschlossenen Umtausch und Forderungserlass und die ausgesprochenen Kündigungen wurden gegenstandslos. Das Urteil stützt sich
auf den Gesetzeswortlaut. Denn der Inhaber einer gekündigten Anleihe ist bis zur vollständigen Erfüllung des in der Anleihe verbrieften Zahlungsanspruchs weiterhin Gläubiger.

Fazit: Die Entscheidung ist zu begrüßen. Deutlich wird, dass alle Anleihegläubiger als Kollektiv gemeinsam den Regelungen des SchVG unterliegen und eine Bevorzugung einzelner Anleihegläubiger durch Flucht in die Kündigung nicht zulässig ist. In einer Krise des Unternehmens habe alle Gläubiger wie im Insolvenzrecht den gleichen Beitrag zu deren Bewältigung zu leisten. Anleger können sich deshalb nicht durch Kündigung der Wirkung von Beschlüssen der Gläubigerversammlung entziehen.

Zugänglichkeit des Prospekts

Eine wichtige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in 2014 betraf die Anforderungen an die Zugänglichkeit eines Wertpapierprospekts, der sowohl physisch als auch im Internet zugänglich sein muss. Nicht erfüllt ist das Erfordernis der leichten Zugänglichkeit eines Wertpapierprospekts, wenn auf der Internetseite eine mit einer Haftungsausschlussklausel und der Pflicht zur Angabe einer E-Mail-Adresse verbundene kostenpfl ichtige Registrierung vorgesehen ist. Außerdem, so stellte der EuGH klar, muss der Prospekt bei einer Veröffentlichung im Internet auch am Sitz der Emittentin sowie bei den Vertrieben/ Finanzintermediären zur kostenlosen Ausgabe bereitgehalten werden.

Vorrang Kapitalmarktrecht oder Gesellschaftsrecht?

In einer weiteren Entscheidung zum Prospektrecht hat der EuGH zu der praxisrelevanten Frage nach dem Vorrang des Kapitalmarkt- oder des Gesellschaftsrechts bei kapitalmarktrechtlich begründeten Ansprüchen gegen den Emittenten Stellung genommen.

Der EuGH entschied, dass nationale Regelungen, die im Rahmen der Umsetzung der in der Wertpapierprospektrichtlinie 2003, der Transparenzrichtlinie 2004 und der Marktmissbrauchsrichtlinie 2003 ergangen sind und die Haftung einer Aktiengesellschaft als Emittentin wegen Verletzung von Informationspfl ichten gegenüber Erwerbern ihrer Aktien vorsehen, mit den Schutzvorschriften zur Kapitalerhaltung in der europäischen sog. Zweiten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie vereinbar sind. Das bedeutet, dass Schadensersatzansprüche der Aktionäre gegen ihre Gesellschaft wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen auch dann bestehen, wenn eigentlich der Anleger über den Schadensersatzanspruch so gestellt wird, als ob er seine Einlage zurückerhalten hat. Faktisch ermöglicht dies ein Aushebeln der Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln bei Kapitalgesellschaften und kann bei Unternehmen in der Krise zu einem wenig wünschenswerten Wettlauf der Anleger führen.

Zwangsversteigerung von Wertpapieren

Mit Urteil vom 17.09.2014 hat der EuGH in einem niederländischen Ausgangsfall entschieden, dass die Prospektpfl icht nicht für eine Zwangsversteigerung von Wertpapieren gilt. Die Situ ation der Anleger, die Wertpapiere im Zusammenhang mit Zwangsversteigerungen erwerben, sei nicht mit der Situation von
Anlegern vergleichbar, die solche Papiere im Rahmen öffentlicher Angebote kaufen.

Anhand dieser Entscheidung wird deutlich, dass das Prospektrecht nur die Fälle von öffentlichen Angeboten abdeckt, die auf den Absatz von Wertpapieren zielen. Dagegen sind Verwertungsmaßnahmen, wie die Zwangsversteigerung, nicht Gegenstand des Prospektrechts.

Beschlussunfähigkeit Gläubigerversammlung

Mit einer Entscheidung aus Ende 2014 verneint der BGH zutreffenderweise einen Anspruch der Anleihegläubigerminderheit aus dem SchVG auf Einberufung einer zweiten Gläubigerversammlung, wenn die erste Versammlung beschlussunfähig war. Dabei stellt sich der BGH gegen Meinungen in der rechtswissenschaftlichen Literatur, wonach eine Unterscheidung zwischen erster und zweiter Gläubigerversammlung nicht geboten ist.

Dem kann uneingeschränkt zugestimmt werden. Denn der Minderheitenschutz würde andernfalls über die gesetzlichen Erfordernisse hinausgehen. Weder Aktiengesetz noch GmbH-Gesetz fordern zwingend die Einberufung einer zweiten Versammlung durch Minderheitsgesellschafter. In Anwendung dieses Rechtsgedankens ist ein Anleihegläubiger nicht schützenswerter als die vergleichsweise stärker geschützten Voll-Gesellschafter eines Unternehmens.

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