ECOreporter, 01.11.2021
Interview mit Rechtsanwalt Dr. Matthias Gündel
Erstmals einheitliche Regeln in der EU für Crowd-Investment beziehungsweise Crowdfunding, wie es oft genannt wird: Das soll eine neue EU-Verordnung ab 10. November 2021 bringen. Sie erleichtert Crowdfunding-Plattformen grenzüberschreitende Angebote. Außerdem können Schwarm-Anlegerinnen und -Anleger nun zusätzliche Produktarten auswählen. Die Plattformen müssen strengere Anforderungen erfüllen.
Die neue EU-Verordnung erlaubt Crowd-Investment-Plattformen etwa, auch Kredite, Aktien, Anleihen, Genussscheine und Ähnliches zu vertreiben. „Das eröffnet neue Geschäftsmöglichkeiten für Plattformen, wie zum Beispiel das Crowdlending“, sagt Dr. Matthias Gündel, Rechtsanwalt und Geschäftsführer der Kanzlei Gündel & Kollegen (www.GK-law.de), die auf Kapitalmarktrecht spezialisiert ist – von der Entwicklung von Crowdfunding-Lösungen und Plattformen über Erlaubnisverfahren bis zur Compliance-Beratung.
Beim Crowdlending (lending, englisch: leihen) vermittelt eine Plattform Kredite, die von mehreren Privatpersonen vergeben werden, beispielsweise an Unternehmen. In Deutschland ist das bisher nur in Zusammenarbeit mit einer Bank möglich gewesen. Bislang ging es beim Crowd-Investment in Deutschland in der Regel meist um sogenannte Nachrangdarlehen. Wird der Kreditnehmer zahlungsunfähig, bekommen hierbei die Anlegenden ihr Geld erst zurück, wenn der im Rang vor ihnen stehende Kreditgeber sein Darlehen komplett erhalten hat. Mit anderen Worten: Sind die Anleger und Anlegerinnen nachrangige Kreditgeber, gehen sie bei einer Insolvenz oft leer aus. Nun werden auch „echte“ Kredite ohne Nachrang zum Crowdfunding zugelassen.
Kredite attraktiver als Nachrangdarlehen
Für Anlegerinnen und Anleger, die hierbei Kredite vergeben, ist das die wohl attraktivere Variante, denn diese Kredite müssen unabhängig von einer Rangfolge zurückgezahlt werden, plus Zinsen. „Für Plattformbetreiber ist in diesem Zusammenhang folgende Unterscheidung wichtig: Das Angebot von „echten Krediten“ richtet sich nach den Vorgaben der EU-Crowdfunding-Verordnung. Angebote, von Nachrangdarlehen liegen dagegen außerhalb des Anwendungsbereiches der EU-Verordnung und richten sich in Deutschland weiterhin nach dem Vermögensanlagengesetz“, so Gündel.
Ohne einen Kapitalmarktprospekt können nun Finanzierungen für Projekte bis zu einem Volumen von fünf Millionen Euro über einen Zeitraum von zwölf Monaten gestartet werden. EU-weit tätige Crowd-Investment-Plattformen benötigen laut der neuen EU-Verordnung aber eine Zulassung für ihre Dienstleistungen.
Zudem wird es eine neue Aufsicht geben, die derjenigen für Finanzdienstleister und Wertpapierinstitute ähneln soll. Die Plattformen müssen auch strengere Anforderungen erfüllen, etwa bei der internen Organisation, der Geschäftsleitung, bei Sorgfaltspflichten und Beschwerdeverfahren.
„Sie müssen ein neues Anlagebasisinformationsblatt des Projektträgers auf Vollständigkeit, Richtigkeit und Klarheit überprüfen. In einer Simulation ist zu prüfen, inwiefern Anlegerinnen und Anleger Verluste tragen können“, erläutert Gündel zu den umfangreichen Pflichten, welche die EU-Verordnung für Plattformbetreiber vorsieht.
Plattformen müssen über Ausfälle informieren
Er führt weiterhin aus, dass Anlegerinnen und Anleger, die nicht über ausreichende Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, um mit der Anlage verbundene Risiken angemessen einzuschätzen, nicht mehr als 1.000 Euro oder fünf Prozent ihres Vermögens pro Projekt investieren dürften. Gehe es um mehr Geld, müsse die Plattform davor warnen, dass ein Angebot ungeeignet sein könnte und das Geld komplett verloren gehen könne, so Gündel. „Außerdem ist eine viertägige Bedenkzeit einzuräumen – innerhalb dieser können Anleger und Anlegerinnen ihr Investment ohne Begründung und Vertragsstrafe widerrufen“, erklärt Gündel.
Hilfreich für Anleger: Plattformbetreiber müssen veröffentlichen, wie hoch die Ausfallquote der auf ihrer Plattform angebotenen Crowd-Projekte der letzten drei Jahre war. Für Angebote im Anwendungsbereich der EU-Verordnung gilt: Bis die neue Zulassung erteilt wurde oder bis zum 10. November 2022 können Plattformen aufgrund einer Übergangsregelung noch nach bisherigen nationalen Vorschriften arbeiten.
IHRE
Dr. Matthias Gündel
Geschäftsführer, Rechtsanwalt +49 (551) 789 669 0
m.guendel@gk-law.de
Christina Gündel
Rechtsanwältin, PR-Referentin +49 (551) 789 669 0
c.guendel@gk-law.de
Irena Behmke
Rechtsanwältin +49 (551) 789 669 0
i.behmke@gk-law.de
BLOG
WEITERE
PUBLIKATIONEN
Langsam aber gewaltig: Boom mit ELTIF 2.0 in Sicht?
European Lonterm Investment Funds (kuz: ELTIF) gibt es bereits seit 2015. Seit dem 10. Januar 2024 ist die novellierte ELTIF-Verordnung „ELTIF 2.0“ anzuwenden. Sie bringt nun Erleichterungen für Anbieter und Vertrieb dieser Fonds.
Besonderheiten bei DLT-basierten Token aus rechtlicher Sicht
Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) revolutioniert den Finanzmarkt und bietet innovative Möglichkeiten zur Emission undVerwaltung von Finanzanlagen in Form von Token. Finanzunterneh-
men, die diese Technologie nutzen möchten, müssen jedoch eine Vielzahl technischer und rechtlicher Besonderheiten im Blick behalten und Anleger über damit verbundene Risiken aufklären. Hier sind die wichtigsten Aspekte aus anwaltlicher Sicht, die technikaffine Emittenten und Finanzintermediäre berücksichtigen sollten.
Wer braucht wann eine Erlaubnis nach der EU-Crowdfunding-Verordnung?
Wann ist eine EU-Crowdfunding-Erlaubnis erforderlich und wann nicht? Wir geben Antwort auf Ihre Fragen.
Der Countdown für europäisches Crowdfunding läuft
Am 10. November 2021 trat die EU-Crowdfunding-Verordnung (European Crowdfunding Service Provider Regulation, kurz: ECSP-VO) in Kraft. Für bei Inkrafttreten bereits bestehende Crowdfunding-Geschäftsmodelle gibt es eine Übergangsfrist für die Anwendung der Verordnung. Diese läuft am 10. November 2023 ab. Wer muss jetzt wie handeln?